Mentale Hafenmanöver

Menu
K
P

Das erste Mal...

am Steuer einer 45 Fuß-Yacht im engen, verwinkelten Hafen. Viele Mooringleinen spannen sich von den Bugen der ruhenden Schiffe schräg ins Wasser. Engen die sichere Durchfahrt stark ein. Deutlich hört man Böen durch Masten, Fallen und Wanten pfeiffen.
Die Segelkameraden – alles weitgehend Anfänger, manche zum ersten Mal auf einer Yacht – sehen mich gespannt mit erwartungsvollen Augen an und möchten klare und eindeutige Kommandos.

 

Leinen los…

Ein Gedanke der Befreiung.
Für einen Skipper/einer Skipperin mit wenig Erfahrung im engen, verwinkelten Hafen mit Wind von der Seite erzeugt dies aber eher ein deutlich mulmiges Gefühl in der Magengrube.

Warum eigentlich?

Über das Ein- und Ausparken eines Autos verliert man kaum einen Gedanken und es macht kaum ein unsicheres Gefühl. Aber warum ist es bei einem Boot so viel anders?

Man möchte sich selber gerne Gelassenheit einflößen – aber es gelingt nur bedingt - unser Gefährt steht schließlich nicht auf festen Boden, sondern in einem flüssigen Medium.
Die Steuerung ist nicht vorne, sondern das Ruderblatt wirkt hinten. Das Schiff dreht völlig anders - schwenkt vorne und hinten aus - Drehpunkt ungefähr in der Mitte. Fahrt aufnehmen und aufstoppen gelingt nur sehr verzögert. Der Wind hat großen Einfluß - gerade wenn ich stehe und nicht festgemacht habe. Dann gibt es noch ein mysteriöses Zusammenspiel zwischen Schalthebel und Stellung des Ruderblattes. Mein Auto hat etwas über eine Tonne, das Schiff vielleicht das 10fache! Jederzeit kann ich mich mit umherschwimmenden Leinen an Schraube, Kiel, und Ruderblatt verhacken. In einem flachen Gebiet kann es RUMS machen.

Sobald eine, zwei oder alle Leinen los sind, ist man ein Spiel des Windes und der Wellen – auch im Hafen. Die 6, 8 oder 10 und mehr Tonnen-Yacht „macht irgendwie“ eine Bewegung – auf den Nachbarlieger, den gespannten Mooringleinen, Pollern, der Hafenmauer zu – oder weg.
Doof auch noch, dass jedes Schiff sich „irgendwie anders“ verhält.
Habe ich ein Bugstrahlruder? Ist es stark genug? Ist es einsatzbereit? 2 Minuten nach dem Einschalten geht es in Standbymodus.

Was macht der Verklicker? - leider keine eindeutige Richtung - dreht sich mind. um 90 Grad. Verklicker der anderen Boote drehen sich auch, manchmal sogar ein bisschen anders. Auf was kann man sich jetzt verlassen?

Der Motor läuft.
Wie war das gleich nochmal mit dem Radeffekt? Dreht sich die Schraube links oder rechts herum? Hat das Schiff einen Faltpropeller? Saildrive oder Welle? Wie ist der Abstand: Schraube zum Ruderblatt? Hat es EIN Ruderblatt oder Zwei? Kann ich das Schraubenwasser im Vorwärtsgang als Anströmung für das Ruderblatt nutzen, um ggf. das Heck bei Bedarf aus dem Stand raus zu versetzen? Spüre ich exakt den Schalthebel ob er auf Vorwärtsgang, Neutral oder um Rückwärtsgang gestellt ist? Kann sich eine dünne Hole-Leine der Mooring in meiner drehenden Schraube verfangen? Wie Tief ist mein Tiefgang? Langkieler oder Kurzkieler? Wo dreht das Boot bei kaum Fahrt und Wind von vorne oder von der Seite?

Apropos Leinen! Sind die auf Slip? – Kein Knoten, Kinken vorhanden? Sind die Segelkameraden an den Leinen gut eingewiesen? Kennen sie die Verletzungsgefahren?

Wie war das gleich nochmal mit den Fendern? – Jetzt schon innenbords? beidseitig? Oder nur „Fenderheben“?
Wie viel Gas beim Eindampfen? Verhältnis: Windstärke, Windeinfall, Intensität des Eindampfens?
Wenn die Mooring / Leinen von den Pfählen los ist/sind, bloß nicht mehr auskuppeln!!!
Wenn das Schiff nur noch mit einer oder zwei Leinen (z.B. am Heck) mit dem Land verbunden ist, dann wird die Instabilität durch’s Eindampfen kompensiert.

Aber jetzt geht’s ans Bewegen. So lange man wenig Fahrt im Schiff hat, ist man ziemlich stark von einfallenden Böen ausgeliefert und man gerät in seitliche Abdrift.
Ist jemand im Ausguck?
Macht es Sinn, eine weitere Leine jetzt schon einholen zu lassen, so dass ich nur noch an einer Leine „hänge“?

Ich lasse die Leine(n) fieren. Das Schiff bewegt sich langsam. Es nimmt langsam Fahrt auf bis zur „sicheren“ Geschwindigkeit.
Ist mein „Ausguck“ wirklich aufmerksam? Was tun, wenn ein anderes Schiff aus einer Gasse möchte, mir vielleicht entgegenkommt? Wie geht das, wenn ich das Schiff – kaum abgelegt – schon wieder aufstoppen, das Schiff auf der Stelle halten muss, gerade wenn der Wind relativ unkoordiniert das Schiff auf Drift bringen könnte. Unkoordiniert deshalb, weil es im Hafen häufig drehende Winde geben kann.

Puhh…. erstmal geschafft in den etwas weiteren Vorhafen zu kommen. Die erste Erleichterung ist deutlich zu spüren.
Wo geht’s hier gleich noch mal zum Hafen heraus? Am besten alles merken – damit ich wieder zu unserem Liegeplatz des Schiffes zurückfinde. Wo ist die Tankstelle? Für das Auftanken vor der Rückgabe?

Im freien Seeraum vor dem Hafen wird die Pulsfrequenz wieder etwas ruhiger.


Überlege noch, was alles passieren hätte können, wenn ich meiner Mannschaft nicht sehr klar mitgeteilt hätte, dass Sie keine Kommandos von hilfsbereiten Menschen von der Pier und Nachbarliegern entgenehmen und ungefragt umsetzen sollen. Manchen Helfern sieht man es schlichtweg nicht an, ob sie von dem aktuellen Manöver eine Ahnung haben - sie wollen einfach nur behilflich sein. Mal schnell fälschlicher Weise die Luv- statt der Lee-Leine zuerst gelöst - schon wäre das Chaos perfekt.

 

Das erste Mal anlegen als Skipper…

Das Ablegen ist in der Regel die einfachere Hürde. Aber jetzt geht’s ans Anlegen im vollen, verwinkelten Hafen – den man vorher noch nie gesehen hat. Leider ist die Nachmittagsbrise noch nicht abgeflaut, so dass – zumindest vor der Hafeneinfahrt – Windböen aus allen 5 Wind-Richtungen einfallen. Eigentlich ist der Hafen ja geschützt, aber der Wind fällt unkoordiniert von den Hügeln und zerklüfteten Bergen herab. Mein Verklicker zeigt während der Fahrt ohnehin was anderes an, wie die Verklicker der ruhenden Schiffe. Aber auch deren Verklicker sind sich nicht ganz einig wo nun der Wind überall herkommt. Aber eine Tendenz habe ich daraus lesen können – und auf die kommt es jetzt an. Die Segel sind bereits bei sehr wackeligen Verhältnissen geborgen worden.

Die Kommandantur des Hafens hat sich auf meinen Funkanruf hin leider nicht gemeldet.
Die Rollen der Crew sind verteilt. Die Festmacher angebracht und zwar unter der Reling durch. Der Bootshaken ist klar. Das Anlegemanöver wurde – zumindest theoretisch - mit meinen relativ unerfahrenen Segelkameraden besprochen. Ich mache keinen Hehl aus meiner Nervosität.
Die Fender sind angebunden. Stimmt die Höhe? An der richtigen Stelle? Sind die Fenderknoten korrekt gemacht worden?
Ein Chrewmitglied meines Vertrauens hält das Hafenhandbuch und trackt mit dem Finger unsere Fahrt mit. Dort hinten ist irgendwo der Transit-Kai, wo man zunächst längseits festmachen soll – ich habe aber vorne gar keinen Festmacher anbringen lassen…hmm.

Ein Marinero pfeift und winkt und deutet eindeutig auf eine schmale Lücke zwischen einer langen wunderschön blauen, sehr teuren Yacht mit ausladenden Mooring-Leinen und einem Katamaran. Das also der Liegeplatz für die Nacht werden?
Ich spüre tausend Augen auf mich gerichtet. Denke jetzt an das Skippertraining und höre die Stimme meines damaligen Skippers und Trainers: „Du solltest (wenn mit Heck zur Pier anlegt werden soll) bereits weit vorher das Schiff umdrehen und lange – gaanz lange achteraus den Liegeplatz anfahren. Aber darauf achten, dass Du GEGEN den Wind achteraus fährst! – Dann kannst Du Dich an die Steuerbewegung und die Achterausfahrt gewöhnen, mit kleinen Bewegungen korrigieren. Und wenn Du wegen eines unvorhergesehenen Ereignises das Schiff aufstoppen musst, kannst Du es, mit Wind von hinten, entspannt auf der Stelle halten.
Denk daran: nach einer Einschlagbewegung mit dem Steuerrad kommt die Drehwirkung erst viel später, verzögert – aber dann eher schlagartig. Der Drehpunkt ist letztlich der Kiel – der knapp achterlich vom Masten aufgehängt ist. Das Schiff schwenkt somit hinten und vorne aus. Deshalb nicht zu weit ausholen / nicht zu nah an die gegenüberliegenden Yachten mit ihren Mooringleinen kommen. Genügend Fahrt im Schiff lassen, dass man manövrierfähig bleibt. Vor dem Einschwenken Schalthebel auf NEUTRAL, damit wird der Radeffekt an der Situation neutralisiert. Das Schiff dreht deutlich besser. Nicht zu früh aufstoppen. Bei gerader achterlicher Einfahrt in die Box Schalthebel auf Tuckergang nach vorne, damit das Schiff zunächst sachte ausgebremst wird und erst auf dem letzten Meter mit einem kurzen Pull das Schiff so aufstoppen, dass der Kugelfender die Pier leicht berührt – aber nicht zu heftig – damit Du nicht „verhungerst“. Aber gut genug, dass es keinen zu starken Ruck an der Pier gibt und das Schiff zurückfedert.“

Meinen Puls kann ich jetzt im Hals spüren. Jetzt tief durchatmen.
Es funktioniert alles so, wie ich es eingeübt habe. Die Nachbarlieger stehen bereit um ggf. einen Fender schützend dazwischen zu halten und lächeln freundlich mir und uns zu. Die Fender habe ich alle innenbords bringen lassen, damit ich mich mit den Fendern der Nachbarlieger nicht verhake. Sie sind jedoch so gelegt, dass sie mit dem Fuß rausgekickt werden können. Zwei Crewmitglieder sind dafür zuständig. Die Heckleinen fliegen entspannt. Luv zuerst, dann Lee. Nach der Leinen-Rückgabe ist schnell vorläufig belegt. Ich bin erstaunt, dass es so gut geht.
Es fällt ein kritischer Blick ins achterliche Wasser auf mögliche aufschwimmende Holeleinen der Moorings. Ich sehe sie – allerdings nicht im Gefahrenbereich der Schiffsschraube. Ich dampfe vorwärts ein – lasse die Heckleinen etwas fieren, damit die Mooringleinen vorne entspannt belegt werden können. Die Mooringleine ist mit dem Bootshaken gegriffen und nach vorne geholt worden. Sie wird nun mühevoll auf die Bugklampen belegt. Ich überlege mir gerade, ob ich den Steuerstand verlassen soll, um nach zusehen ob alles klappt. Entschließe mich aber doch am Steuerstand und am Schalthebel zu bleiben (spüre förmlich meinen damaligen Trainer). Durch Einschlag des Ruders nach Lee versetze ich das Heck des Schiffes im eingedampften Zustand durch Anströmen des Ruderblattes nach LUV, weil das Schraubenwasser am schrägestellten Ruderblatt umgelenkt wird und wie ein Heckstrahlruder wirkt. Dabei habe ich immer einen SEHR! kritischer Blick auf das Schraubenwasser, damit ich mir die Holeleine der Mooring nicht in die Schraube sauge. Der routinierte Marinero zieht die Leine bewusst aus dem Gefahrenbereich – (das habe ich schon mal anders gesehen). Erhöhe die Drehzahl, - das Steuerrad vibriert durch das starke Schraubenwasser der "Heckstrahlrudereffekt" wird stark intensiviert und das Schiff bewegt sich (wie von Geisterhand) parallel nach Luv. Die Moorings sind belegt, die Daumen der Leute auf dem Vorschiff zeigen nach oben. Bereits durch das Auskuppeln federt das Schiff in die gewünschte Richtung mit dem Heck zur Pier. Ich habe mit den Crewmitgliedern, die die Heckleinen bedienen ausgemacht, dass Sie sofort die Lose aus dem Festmachern nehmen und entschlossen auf die Klampe temporär beklemmen sollen - jedoch dabei auf die Finger achten müssen. Ich habe eindringlich auf die hochgefährliche Klampen-Arbeit in der Situation hingewiesen.
Die Festmacher sind vorerst beklemmt, gebe noch mal auf Kommando einen Pull rückwärts, um erneut die Lose aus den Heckleinen nehmen zu lassen. Auch wenn wir noch nicht ganz den passenden Abstand zur Pier haben, gehe ich mit dem Schalthebel auf neutral.

Ich gebe Kommando zum „Festmacher steigen“ (gelernt ist gelernt).Jemand Gewichtiger steigt mit den Füßen (sich gut mit den Händen festhaltend) außenbords auf den luvwärtigen Festmacher. Im selben Moment, wenn der Fuß hochgenommen wird, wird der Festmacher durchgeholt und beklemmt. Nach zwei Wiederholungen ist der Abstand richtig. Ohne nerviges Aufgeheule des Motors und ohne stinkende Dieselabgasfahne.

Wow - die ganze Crew erntet anerkennende Blicke.
Der Herzschlag beruhigt sich – Ich bin verblüfft, über den Spruch vom Nachbarschiff: „da erkennt man sofort den erfahrenen Skipper und ein eingespieltes Team“.